Im Hoheitsgebiet der Trucker
Dann kommt Texas. Wo einem schon an der Grenze klargemacht wird, dass man sich ab sofort in einem besonderen ‚Kanton’ befindet: nicht nur der Strassenbelag hat eine andere Farbe, auch die vertrauten Route 66-Schilder, sonst überall braun, sind hier plötzlich grün. Ob’s Egozentrik ist, Selbstherrlichkeit oder die pure Lust am Anderssein – wer will es wissen. Fakt ist einfach, dass in Texas vieles grösser und einiges extremer ist als anderswo. Und Fakt ist auch, dass bisweilen alle Wege – auch die von Töfflifahrern! – ganz offiziell auf die … Interstate führen. Ins Hoheitsgebiet der Trucker sozusagen. Als Schmalspur-Rocker tut man in diesem Falle gut daran, sich ganz an den rechten Strassenrand zu verziehen, um nicht unter die Räder eines solchen Ungetüms zu kommen. Wohl reagieren die meisten Trucker relativ verständnisvoll und wechseln beim Überholen nobel auf die andere Fahrbahn, aber: es gibt auch andere! Solche nämlich, die ganz konsequent auf ihrer Spur bleiben und einem genau dann, wenn sie sich auf gleicher Höhe befinden, einen solch durchdringenden Trucker-Gruss ins Ohr hornen, dass man vor Schreck unwillkürlich eine Zeitlang in der Achtungsstellung weiterfährt.
Pete Coyote – Trucker aus Leidenschaft
Aber wie gesagt: es gibt auch die Netten. Pete Coyote ist so einer – ein Trucker aus Leidenschaft. Seit fast 40 Jahren ist er auf den Highways des ganzen Landes unterwegs. Der Truck, ein sogenannter Freightliner, gehört ihm. Mehr als 200’000 Dollar habe der Brummer gekostet. Occasion, wohlverstanden. Die Leasing-Raten würden ihn gewaltig unter Druck setzen, meint Pete. Ferien und Krank-Tage könne er sich nicht leisten. Und er müsse alle Aufträge annehmen, egal was komme. Im Augenblick fahre er Gemüse von Kalifornien nach New York, und nein, für Sightseeing bleibe keine Zeit. Im Grunde genommen, wenn er sich’s richtig überlege, sei es ein ziemlich trostloser Job. Weil man immer auf den Autobahnen unterwegs sei und diese irgendwie alle gleich aussähen. Aber, sagt er und kratzt dabei in seinem langen weissen Bart, er sei sein eigener Boss und niemand rede ihm drein. Und ausserdem, fügt er mit einem Augenzwinkern an, sei das trucking auch gut für seine Ehe. Weil er seine Frau nur alle drei Wochen sehe, bleibe zuwenig Zeit zum Streiten. Deshalb sei er wohl auch schon über 30 Jahre mit ihr verheiratet. Sagt’s, drückt zweimal kräftig auf die Hupe und rauscht mit seinem 18-Wheeler davon.
Is this the way to Amarillo?
Seit Tagen bringe ich ‚sie’ nicht mehr zu den Ohren raus – die Melodie von „Is this the way to Amarillo“, des Sommer-Hits von 1972. Der Grund: ich bin auf dem Weg dorthin. Doch während es im Liedtext banalerweise um einen jungen Typen geht, der nach Amarillo fährt, um seine Verlobte wiederzufinden, bin ich unterwegs, um die Rinder-Hauptstadt von Texas kennenzulernen. An den grossen Auktionen, die hier jeden Dienstag über die Bühne gehen, werden übers Jahr mehr als 300’000 Rinder gehandelt. Steaks für die Mägen der Nation. Es erstaunt daher wenig, dass sich in Amarillo eines der grössten Steakhäuser Amerikas befindet. Und zwar eines mit einem ganz speziellen Angebot.
Die challenge geht so: wer es schafft, innerhalb einer Stunde ein 72 Unzen schweres Steak samt Beilagen (!) zu verdrücken, der erhält das Menu gratis. Eine Herausforderung, die natürlich ziemlich verlockend ist. Doch wer es probieren möchte, sei gewarnt: 72 Unzen entsprechen einem rund zwei Kilogramm schweren Fleischmocken! Und nicht zu vergessen: die Beilagen müssen in der gleichen Zeit auch noch runter! Der Tisch, wo die Fress-Künstler die magenfüllende Herausforderung annehmen, steht übrigens auf einem kleinen Podium. Damit sich alle Gäste satt sehen können, was da oben abgeht. Und noch etwas anderes steht auf dem Podium – vielleicht das Wichtigste überhaupt: zwei grosse Kübel für jene, denen ein akuter Lebensmittel-Husten einen plötzlichen Strich durch das grosse Fressen macht…!
Cadillacs wie Enten beim Tauchgang
Etwas ausserhalb von Amarillo liegt die sogenannte „Cadillac-Ranch“ – ein Muss für jeden Route-66-Reisenden. So zumindest steht es in meinem Reiseführer. Also nichts wie hin.
Eingegraben am Rande eines monumentalen Ackers steht das „Kunstwerk“: 10 Cadillac-Ruinen, das Hinterteil schräg in der Luft, die Schnauze im Boden einbetoniert. Wie Enten beim Tauch-gang. Was früher originell gewesen sein mag, ist heute nur noch eine herbe Enttäuschung. Von den ehemals weissen Heckflossen-Cadillacs fehlen diverse Bestandteile, und was noch vor-handen ist, wurde im Laufe der Jahre von Touristen und anderen Pseudo-Künstlern graffiti-mässig dermassen verschandelt, dass es einem wirklich schwerfällt, Freude an diesem ‚Kunst-werk’ zu entwickeln.
Und wenn ich’s mir richtig überlege, hatte im Vergleich dazu bislang eigentlich jeder Autofriedhof an der Route 66 mehr Charme. Was natürlich nicht am Kunstwerk selber liegt, sondern eben am Umstand, dass es immer wieder Leute gibt, die so etwas Einzigartiges nicht einfach anschauen und sich daran freuen können, sondern sich fast genötigt sehen, ihre unqualifizierten Spuren zu hinterlassen. Schade drum.
Midpoint – die Hälfte geschafft
Gut 50 Meilen später taucht das Dörfchen „Adrian“ auf. Eigentlich kein Ort, an dem man länger verweilen würde, wäre da nicht das grosse Schild am Strassen-Rand, auf dem in riesigen Buchstaben „MIDPOINT“ geschrieben steht – ein Hinweis darauf, dass hier die Hälfte der Route 66 hinter einem liegt. 1139 Meilen sind es von hier aus bis nach Chicago und ebenso viele noch bis nach Los Angeles. Halbzeit also. Der Ort selbst gibt, wie gesagt, nicht viel her: ein kleines, aber nettes Café mit Souvenirladen, nebenan die Ruine einer ehemaligen Auto-Garage und rechts davon ein verwahrlostes Restaurant – fertig. Schade eigentlich, denn etwas mehr Aufmerksamkeit hätte dieser wichtige Punkt eigentlich schon verdient.