Im Land der Verzauberung
Wenig später ist dann wieder eine Staatsgrenze fällig: von Texas geht’s hinüber nach New Mexiko – dem Land of Enchantment, wie auf den Klebern der Autos zu lesen ist. Vorerst allerdings ist nur wenig vom “Land der Verzauberung” zu sehen. Einmal mehr geht’s auf den Service-Roads links oder rechts der Interstate 40 entlang, und irgendwie fühlt man sich um die Echtheit der historischen Route betrogen – obwohl einem die (nun wieder) braunen Historic Route 66-Schilder, die in regelmässigen Abständen ins Bild kommen, etwas anderes vorgaukeln wollen. Aber so ist es eben: der alte Highway wurde in den achtziger Jahren offiziell zu Grabe getragen und von den Strassenkarten verbannt. Die Interstate 40 hat übernommen. Und wo sie den alten Strassenverlauf unter sich begraben hat, wurden dann einfach die Zubringer-Strassen zur Route 66 ‚befördert’. So geht es Meile um Meile – durch Geister-Städte und -Dörfer, die oft nur einen Wimpernschlag lang in den Gedanken hängen bleiben.
Sante Fé – Traumstadt in New Mexic
Hinter Santa Rosa, rund 100 Meilen nach der Grenze, gilt es dann, eine Entscheidung zu treffen. Entweder schnurgerade auf der I-40 westwärts, oder auf dem Original-Trassee von 1937 nach Norden. Für mich als Töffli-Fahrer, der sich auf den Interstates nicht sonderlich wohl fühlt, keine Frage: rechts ab, und auf der alten Route nordwärts Richtung Santa Fé. Santa Fé! Schon der Name klingt wie Musik in meinen Ohren. The Different City wird sie auch genannt. Und anders ist sie tatsächlich. Kein einziges Hochhaus stört die schöne Szenerie mit den einzigartigen, im Pueblo-Stil erbauten Adobe-Häusern. Dass alle diese Häuser in einem warmen, weichen Braunton gehalten sind und damit wohltuend mit dem satten Grün der Umgebung kontrastieren, macht das Ganze geradezu perfekt. Hier schlägt ein anderer Puls, hier fühlt man sich sofort wie zu Hause. Kein Wunder, haben sich viele Künstler und Aussteiger in dieses Bijou verliebt: Hier lässt es sich wahrlich aushalten.
Abzocke im Indianer-Reservat
Entering Laguna Indian Reservat – ein Schild zeigt mir, dass ich mich nun hochoffiziell in einem Indianer-Reservat befinde. Sogleich kommen die Geschichten von Karl May hoch: Winnetou und seine roten Brüder, riesige Büffelherden, Indianer-Dörfer mit vielfarbigen Tepees, Lagerfeuer-Romantik im weiten Wilden Westen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ein Besuch in einem Pueblo bringt mich zurück ins 20. Jahrhundert. Dass ich Eintritt bezahlen muss, um das Dorf anzuschauen, ist das eine. Dass ich aber keinerlei Fotos machen darf, ärgert mich schon ein bisschen mehr. Auch, dass einem auf einem Dorfplan genau aufgezeigt wird, was man anschauen darf und was nicht, trägt nicht unbedingt zur Hebung meiner Laune bei. Dass die Indianer zudem nicht mehr in Tepees, sondern in ganz gewöhnlichen Häusern leben, statt einem Pferd einen 4×4-PickUp ‘reiten’ und die Feuerstellen und Marterpfähle durch Parkplätze und Telefonstangen ersetzt haben, lässt schliesslich meine ganze schöne Indianer-Romantik vollends den Bach runtergehen. Doch die Enttäuschung weicht bald einem gewissen Verständnis. Was soll denn ein junger Indianer auch anderes tun? Mit Büffeljagen ist schon lange nichts mehr in einem Land, dass von den weissen Farmern mit Stacheldraht zerschnitten worden ist, wo nur noch Gigantismus und Benefit zählen, wo Zeit Geld ist und kein Platz mehr bleibt für Geschichten und Sagen am Lagerfeuer. Anpassen oder untergehen – das sind die einzigen Optionen für die Indianer. Dazwischen gibt’s nichts.
Continental Divide – Wasserscheide Amerikas
Volle drei Tage geniesse ich das einmalige Ambiente von Santa Fé, dann geht’s wieder ‘nitzi’ – nach Albuquerque, wo sich erneut die Gelegenheit ergäbe, eine Abkürzung zu nehmen und auf der Schnellstrasse Richtung Westen zu blochen. Wobei man sich erneut um einen schönen (alten) Teil der Route 66 bringen würde. Atemberaubend schön ist die Landschaft und die Fahrt entlang der mesas (Tafelberge) ein absoluter Hochgenuss. Wenn die Leute auf der Interstate wüssten, was sie in ihrer Hetzerei alles verpassen…!
Fast unmerklich steigt die Strasse jetzt an, es geht hinauf zur Continental Divide, der Wasserscheide Amerikas. Das ist der Ort, wo sich der Regen entscheiden muss, auf welcher Seite er den Berg hinunterfliessen will. Lucy und ich halten uns westwärts und stechen nach einem Kaffeehalt auf der Passhöhe wieder ins Tiefland. Wenig später überqueren wir die nächste Staatsgrenze. Es geht nach Arizona, dem zweitletzten Staat auf unserer Tour.