Gesellenstück in der Bratpfanne
Die erste Stadt nach der Grenze zu Kalifornien heisst Needles. Ein Ort, der es zu extremer Berühmtheit gebracht hat – weil er als einer der Heissesten in ganz Amerika gilt. Temperaturen jenseits der 50-Grad-Marke seien hier keine Seltenheit, sagen die Leute. Und genau von hier aus, vom Hitze-Zentrum Needles bis zu den Bergen vor dem Grossraum Los Angeles, erstreckt sich die gefürchtete Mojave-Wüste, ein flaches, hitze-flirrendes Stück Nirgendwo, in das man eigentlich nie reisen würde – es sei denn, man habe im Sinn, die Route 66 mit einem Posttöffli auf der Originalstrecke zu befahren. Mir jedenfalls kommt es vor, als befände ich mich auf einem riesengrossen Kuchenblech, das jemand in den Ofen Kaliforniens geschoben habe. Bei 50 Grad ‚sonniger’ Ober- und mindestens (!) ebensoviel ‚asphaltiger’ Unterhitze. Kleiner Nachsatz: Eigentlich war geplant, die Wüste in zwei Etappen zu durchqueren – mit Übernachtung auf halbem Weg in Amboy. Es blieb jedoch beim Plan: das einzige Motel vor Ort hatte vor kurzem dicht gemacht… !
Nebel oder Smog?
Nach der ‘wüsten’ Wüsten-Durchquerung (und gründlichem Durchschlafen im erstbesten Motel am Wegesrand) geht’s bei Victorville dann zum endgültig letzten Mal (!) für ein kurzes Stück auf die Interstate. Ausserdem auch wieder rauf in die Berge. Mit Topspeed und Rückenwind (Lucy knackt erstmals die 60 kmh-Marke!) frääsen wir auf der andern Seite hinunter ins mächtige Tal, wo sich irgendwo in der Ferne die Metropole von Los Angeles ausbreitet wie ein gärender Hefeteig. Und noch während ich mich an den gewaltigen Gebirgsstaffeln erfreue, die vom Gegenlicht in diffuse Grautöne aufgeteilt werden, entdecke ich plötzlich etwas ganz und gar Ungewöhnliches: Nebel! Etwas, was ich letztmals am Tag meiner Abreise in der Schweiz gesehen habe! Nebel? Hier? Erst der zweite Blick bringt Klarheit: die grau-weisse Watte, die sich da ausbreitet, ist kein Nebel, sondern ein gewaltiges dunstiges Smog-Meer, dessen Ursache die Abgase dieses Riesenmolochs sind.
Im Verkehr von Los Angeles
Über 13 Millionen Menschen, heisst es, wohnen im Ballungsgebiet dieser Mega-City. Und jeder habe mindestens ein Auto. Die meisten jedoch zwei. Keine beruhigende Aussage für einen Töfflifahrer aus der Schweiz. Mit dem notwendigen Respekt taste ich mich deshalb an das Geschehen heran und fahre auf dem Seitenstreifen einer dreispurigen Strasse Richtung Innenstadt.
Eine Zeitlang läuft auch alles gut, doch dann kommt es knüppeldick: weil plötzlich eine andere, ebenfalls dreispurige Strasse in meine einbiegt. Und zwar von rechts!!! Was bedeutet, dass ich mich ab sofort und punktgenau in der Mitte einer sechsspurigen Freeway-Strasse befinde! Der absolute Horror! Auf beiden Seiten fräsen die Autos an mir vorbei, und jeder Zweite zeigt mir entweder den Vogel oder drückt genervt auf die Hupe. Was tun in so einem Falle? Handzeichen nach rechts geben und raus, wäre eigentlich die Lösung. Allerdings nur theoretisch. In der Praxis funktionierts so nämlich nicht. Weil es, sobald man die rechte Hand vom Gasgriff nimmt, diesen blitzartig in die Null-Stellung zurückschletzt. Was dazu führt, dass man noch tiefer im Schlamassel steckt.
Ich habe mir schliesslich so beholfen: Gasgriff bis zum Anschlag hochdrehen, mit den Füssen pedalen, was das Zeug hält, kurzer Blick zurück, dann linken Arm nach oben, mit dem Zeigfinger über Kopf nach rechts deuten, Augen zu … und durch.
Geschafft!
Der Santa-Monica-Boulevard, die Zielgerade der Route 66, entschädigt dann, zumindest gegen sein Ende hin, für die zweifelhaften Fahrfreuden auf dem Freeway. Zwar geht’s wegen der vielen Ampeln nur sehr bedächtig vorwärts, aber was soll’s: Das Ziel liegt zum Greifen nah. Es riecht nach Pazifik. Nur ein paar hundert Meter sind’s jetzt noch bis zum Ziel, aber die Emotionen fahren bereits tüchtig Achterbahn. Eine Träne schleicht sich in den Augenwinkel, und vieles, was in den vergangenen Wochen passiert ist, kommt im Schnelldurchlauf noch einmal hoch. Und dann ist plötzlich Schluss. Ebenso unspektakulär, wie sie in Chicago begonnen hat, endet sie auch, die berühmte Route 66 – an einem schlichten Gedenkstein in einer Rasenfläche, nur wenige Meter vom Ufer des Pazifiks entfernt. Das war’s also. Ich schiebe Lucy für das finale Abschlussbild in Position, und dann ist es plötzlich da: ein gewaltiges, unglaubliches, unbeschreibliches Glücksgefühl. «Yeepee – wir haben es geschafft – wir haben es tatsächlich geschafft!» Oder wie der Amerikaner sagen würde: «We did it!».